Was tun bei gestiegenen Zinsen?
Seit Sommer 2022 haben die Zentralbanken, allen voran die amerikanische Federal Reserve (kurz: Fed) und die europäische Zentralbank EZB, die Leitzinsen kräftig erhöht. Für manchen jungen Anleger ist es vielleicht sogar das erste Mal, dass ihr oder ihm ein nennenswert positiver Zins ins Auge sticht. Und selbst wer schon lange dabei ist muss über ein Jahrzehnt zurückschauen, um sich an die guten alten Zeiten erinnert zu fühlen, zu denen Sparbuch, Festgeld und Anleihen zum langfristigen Vermögensaufbau beitragen konnten. In den USA ist in manchen Anleihebereichen sogar die Rede von Zinshöchstständen, die es letztmalig mit Beginn dieses Jahrtausends gegeben hat. Ein gänzlich neues Gefühl, was bei vielen Verunsicherung auslöst. Und so ist es kein Wunder, dass ich vor Kurzem mit einem Anleger sprechen durfte, der aus einer gewissen Orientierungslosigkeit gar keinen Hehl machte. Er stellte sich nämlich spätestens bei einer der letzten spektakulären und vielbeachteten Aktion einer inzwischen sehr bekannten Online-Bank die Frage, ob ein Tagesgeld von vier Prozent nicht doch die bessere Alternative zu anderen, aus seiner Sicht deutlich risikoreicheren Anlageformen wäre. Er hatte da in den letzten Jahren durchaus so einige Erfahrungen gemacht. Vor allem das Jahr 2022 gab ihm deutlich zu denken. Davor hatte sich sein Aktieninvestment, gestreut über ein paar ETFs, die sich sowohl auf breite Indizes als auch auf den ein oder anderen ETF aus dem Tech-Bereich bezogen, schon nach kurzer Zeit mehr als gelohnt und seine Sparpläne entwickelten sich prächtig. Für sich hatte er die richtige Entscheidung, sprich, Anlageform gefunden, so sein Eindruck. Aber dann kam, wie berichtet das Jahr 2022. Auch wenn sich Anfang 2023 seine Anlagen in Tech-Werte erholten, kamen ihm doch Zweifel, ob er nicht doch etwas übersehen haben könnte. Trotz aller vorbereitenden Gedanken im Vorfeld seiner Anlageentscheidungen. Denn plötzlich stiegen die Zinsen. Und sie stiegen weiter. Anbieter von Tages- und Festgeld übertrafen sich gegenseitig bis jetzt bereits ein Niveau von vier Prozent und mehr erreicht worden ist. Was also tun, war seine Frage? Aus zahlreichen Gesprächen mit Ihnen weiß ich natürlich, dass es vielen von Ihnen so ergeht. Anlagen wie Tagesgelder oder Festgelder erscheinen relativ risikolos und gut verzinst zu sein. Könnten also passen. Und in der Tat: Im Vergleich zu einer Anlage am Aktienmarkt trifft dies zu. Bei näherer Betrachtung wird es aber schon etwas herausfordernder. Denn es ist zum Beispiel ungewiss, wie es mit der Inflation und damit den Reaktionen der Notenbanken weitergehen könnte. Steigen die Zinsen weiter, so ist das bei einem Tagesgeld ein geringeres Problem. Anbieter werden vermutlich nachziehen. Fallen die Zinsen aber in absehbarer Zeit, dann ist ein heute abgeschlossenes Festgeld vielleicht doch die bessere Wahl gewesen, denn Anleger haben sich unter Umständen für eine längere Zeit ein hohes Zinsniveau gesichert. Alles wichtige Überlegungen. Noch entscheidender ist aber der Blick auf die Zahl, die Zinssteigerungen ab Sommer 2022 überhaupt erst ausgelöst haben: Die Inflationsrate. Bei diesem Blick kann es dann schnell eine eher unangenehme Überraschung geben, die die derzeit hohen Tages-, Festgeld- und Anleihezinsen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ich meine den Realzins, also das, was nach Zinsertrag abzüglich der Inflationsrate übrig bleibt. Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht dazu regelmäßig interessante Zahlen, die sich leicht im Internet finden lassen oder auch auf statista.de veröffentlicht werden. Suchen Sie dazu einfach nach Bundesbank und Realzinssätzen. Aus den Zahlen der Bundesbank lässt sich entnehmen, dass Ende August 2023 eine Geldanlage in täglich fällige Einlagen zu einem negativen Ergebnis von über minus 5 Prozent geführt hätte. Selbst eine Anlage mit einer vereinbarten Laufzeit von über 2 Jahren hätte als Ergebnis bei rund minus 3 Prozent gelegen. Das ist eine Kurzfristbetrachtung. Aber selbst über einen zwanzigjährigen Zeitraum hätte sich bei einer Anlage mit zweijähriger Bindungsfrist überwiegend ein negativer Realzins eingestellt. Mit anderen Worten: Statt wenigstens die Kaufkraft zu erhalten, wäre es im Gegenteil zu einem Kaufkraftverlust gekommen. Die Schlussfolgerung: Wer langfristig Vermögen aufbauen oder zumindest erhalten will, hat selbst bei den gestiegenen Zinsen Schwierigkeiten, dieses Ziel der finanziellen Freiheit zum Beispiel im Alter zu erreichen. Soweit, so klar. Aber was heißt das nun konkret? An einer Beimischung von Aktien zum Beispiel über einen weltweit anlegenden, breit gestreuten ETF führt ohne weiteres kein Weg vorbei. Auch dazu eine kurze Zahl: Nimmt man die Angaben der Deutschen Bundesbank, so lag die durchschnittliche Inflationsrate in den zuvor beschriebenen 20 Jahren bei rund 2 Prozent. Ein ETF auf den MSCI World Index, einer bei Anlegern besonders beliebten Anlagelösung, hätte in diesem Zeitraum eine Wertentwicklung von über 8 Prozent erbracht, in Euro, vor Kosten und Steuern. Natürlich, und das sei hier auch klar betont, wären die Nerven unseres Anlegers deutlich stärker belastet worden als mit einer eher ruhigen Anlage in Festgelder oder festverzinsliche Wertpapiere. Das Ergebnis auf Basis vergangenheitsbezogener Daten hätte das Durchhaltevermögen aber durchaus belohnt. Was heißt das aber nun für unseren eingangs erwähnten Anleger? Die Mischung macht‘s. Es ist wichtig, auch in diesem Umfeld gestiegener Zinsen zumindest einen gewissen Anteil an Aktien-ETFs beizubehalten, um der Inflation, die an der Kaufkraft nagt, ein Schnippchen zu schlagen. Natürlich werden jetzt manche von Ihnen einwenden, dass die Inflation auch wieder zurückgehen wird und sich das Bild dann möglicherweise zugunsten festverzinslicher Anlagen dreht. Das mag sein und will ich auch nicht ausschließen. Aber erstens bedeuten sinkende Inflationsraten aller Erfahrung nach im Zeitverlauf sinkende Zinsen. Und zweitens haben in einem fallenden Zinsumfeld zunächst einmal alle diejenigen Glück, die sich Zinsen langfristig gesichert haben. Nur ist der Weg zur finanziellen Freiheit eben langwierig und die Zinsbindung in aller Regel vorher ausgelaufen. Außerdem gibt es in langen Zeiträumen immer wieder ein auf und ab von Inflation und Zinsen. Weshalb es eben doch wichtig ist, in Aktien und Aktien-ETFs zu investieren, dabei aber eine persönlich ausgewogene Mischung zwischen Aktien-ETFs einerseits und andererseits ein Portfolio beruhigende Zinsanlagen zu finden. Ein Klassiker ist dabei übrigens eine Aufteilung auf 60 Prozent Aktien zu 40 Prozent Anleihen oder Fest- bzw. Tagesgelder, die sich als eine „Daumenregel“ etabliert hat. Wichtig dabei: Die getroffene Aufteilung muss in jedem Fall zur persönlichen Risikoneigung passen, damit sie auch langfristig ohne allzu große Zweifel und Beunruhigungen durchgehalten werden kann.
Bitte bleiben Sie unseren ETFs gewogen!
An einer Beimischung von Aktien zum Beispiel über einen weltweit anlegenden, breit gestreuten ETF führt ohne weiteres kein Weg vorbei.
Thomas Meyer zu DrewerLeiter öffentlicher Vertrieb, Amundi ETF in Deutschland